Samstag, 3. Oktober 2009

Gedichtvergleich

Die beiden romantischen Kunstlieder „Sehnsucht“ (1819) von Joseph Freiherr von Eichendorff und „Der Spinnerin Lied“ (1802) von Clemens Brentano basieren auf dem Motiv „Sehnsucht nach vergangener Einheit“. Im Folgenden werde ich Gemeinsamkeiten und Unterschiede vergleichen und genauer beschreiben.


Meine Arbeit startet mit dem Kunstlied im Volksliedton „Sehnsucht“ von J. F. v. Eichendorff. Es entstand in der Epoche der Romantik Anfang des 19. Jahrhunderts. Dieses Gedicht behandelt das typische Motiv der Literatur der Romantik, Sehnsucht nach einem vergangenen und verlorenen Zustand, der eine Einheit darstellt.
Dieses Kunstlied besteht aus drei Strophen zu je acht Zeilen. Das Metrum ist unregelmäßig, es werden bevorzugt Daktylen verwendet. Inhaltlich ist dieses Gedicht in zwei Hälften getrennt. Von der ersten bis zur zwölften Zeile beschreibt das lyrische Ich seine Perspektive (Erinnerungen) vom Fenster aus, wogegen ab der dreizehnten bis zur letzten Zeile der Inhalt des Liedes der wandernden Gesellen beschrieben wird. In der ersten Strophe werden auffallend viele Adjektive benutzt, wie „golden“, „einsam“, „still“, dadurch wird das Gefühl der Sehnsucht verstärkt. Die in der zweiten und dritten Strophe verwendeten Verben vermitteln durch die Worte „Marmorbilder“, „Paläste im Mondschein“ und „Gärten“ das Bild der harmonischen Idylle, einem Topos der Romantik. Es werden durchgehend viele Enjabements verwendet, die zusammen mit dem Kreuzreim den Kunstlied-typischen Charakter unterstreichen.

Das zweite Gedicht „Der Spinnerin Lied“ von Clemens Brentano umfasst insgesamt sechs Strophen, die jeweils aus vier Verszeilen bestehen. Das Versmaß ist jambisch und die einzelnen Verszeilen werden bis auf die letzte Strophe alle über Enjabements miteinander verbunden. Es herrscht ein umarmender Reim vor, jedoch kommen auf die jeweils 24 Verszeilen nur drei verschiedene Reimschemata. Die einzelnen Verszeilen werden geschickt untereinander variiert, sodass man bei unkonzentriertem Lesen den Eindruck bekommt, dass sich vieles wiederholt. Jedoch gibt es bis auf zwei Ausnahmen, keine einzige identische Verszeile („da wir zusammen waren“ und „Gott wolle uns vereinen“). Phonetisch auffällig ist der häufig gebrauchte Selbstlaut „a“, „Es sang vor langen Jahrenhrenhrehrhisheirhshrhhren“, oder „Da sang die Nachtigall“. Damit soll die Sehnsucht nach einer vergangenen Einheit, einem verlorenem Paradies, das unerreichbar ist, ausgedrückt werden. Durch diese schmerzlichen Erinnerungen an die vergangene Harmonie soll ein neues Paradies entstehen.


Das Hauptmotiv der Romantik, nämlich die Sehnsucht nach der idyllischen Vergangenheit, ist auch in diesen beiden Gedichten thematisiert. Eichendorff erzählt von einem Lied zweier junger Gesellen, die von diesem ersehnten Zustand singen, in Brentanos Gedicht übernimmt eine Spinnerin die Aufgabe des lyrischen Ichs. Sie „singt“ ebenfalls von ehemaligem Zusammensein und vergangener Einheit. „Der Spinnerin Lied“ geht nicht so ins idyllisch bildliche wie „Sehnsucht“, es wird mehr mit Metaphern gearbeitet (das Spinnrad als „Rad der Zeit“, oder der „Schicksalsfaden“). Wogegen Sehnsucht die klassischen Ideale der „Kunstheimat“ verwendet, „Paläste“, „Gärten“ und „Marmorbilder“ sind keine realen Schauplätze, sondern allgemeine Synonyme, die eine poetische Harmonie darstellen. Zwar ist die Hauptthematik dieser beiden Gedichte gleich, doch bei „Der Spinnerin Lied“ ist der persönliche Bezug stärker, da die Spinnerin ihren verlorenen Geliebten besingt. Eichendorff dagegen besingt einen nicht realen Ort, nur ein Sinnbild einer harmonischen Idylle.
Beide Gedichte sind typische Kunstlieder im Volksliedton. Die gebräuchlichen Reime, der Kreuzreim (Sehnsucht) und der umarmende Reim (Der Spinnerin Lied) unterstützen diesen Charakter. Der übersichtliche Inhalt, die als naives Träumen über die Vergangenheit wahrgenommene Poesie, die bei genauerem betrachtet, doch sehr komplex ist, ist auch ein sicherer Hinweis auf ein Kunstlied. Auch die Anzahl der Verszeilen ist identisch, nur teilt Eichendorff seine 24 Verszeilen in nur 3 Strophen auf, außerdem sind diese im Durchschnitt fast doppelt so lang wie Brentanos, der sein Gedicht in sechs Strophen á vier Zeilen einteilt.

Auch heute ist diese Art von Volkslied noch bekannt. In modernen Volksliedern wird oft diese Art von Sehnsuchtsmotiv verwendet und sie sind entweder in einem Kreuz- oder in einem umarmenden Reim verfasst und haben den gleichen melancholischen Charakter der romantischen Poesie.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass beide Gedichte auf die Hauptmotivik der Romantik eingehen, sich jedoch auf der persönlichen Ebene unterscheiden. Auch in der Rhetorik gibt es Unterschiede: während Brentano eine einfache, wortkarge Sprache wählt, verwendet Eichendorff klingende und abwechslungsreiche Ausdrücke. Mich persönlich spricht „Der Spinnerin Lied“ mehr an, da seine Komplexität auf Grund der verschachtelten Sprache erst nach mehrmaligem Lesen und erst mit der Bearbeitung zum Vorschein kommt.