Sonntag, 17. Juni 2007

Selbstvorwürfe

,,Wie konnte das nur passieren? Warum hab' ich denn all die Zeit nicht gemerkt", fragte sich die Mutter immer und immer wieder. Unruhig lief sie im Zimmer auf und ab, die Tränen rannen ihr in dicken Tropfen über das gerötete Gesicht. Was bin ich denn nur für eine Mutter, die die wachsenden Depressionen ihres Sprösslings nicht erkennt und somit sein Leben mitgefährdet? Selbstvorwürfe überkamen sie, ließen sie fast ohnmächtig werden, ließen sie am ganzen Leibe zittern. Draußen vor dem Fenster heulten Sirenen, lenkten die Mutter kurz von ihrem Elend ab. Sie lief zum Fenster, um nachzusehen wohin die Rettungswägen fuhren. Was war da passiert? Etwa das gleiche das mit meinem Sohn geschah? Nein, Gott konnte und durfte so etwas Schreckliches nicht schon wieder zulassen... Gedanken an den Tod, ihren eigenen, raubten der Mutter fast den Verstand. Sie war müde, müde vom Denken, müde vom Weinen.
Sie wollte schlafen, den ewigen Schlaf, doch sie war zu aufgewühlt, um zur Ruhe zu kommen.
Gedanken an ein Leben nach dem Tod, in dem sie sicher ihren über alles geliebten Sohn wiedersehen würde, Gedanken daran, ob ihre Familie mit ihrem Tod, ihrem Selbstmord, zurechtkommen würde, vor allem ihr schwerst alkoholkranker Mann, der die Familie so oder so nicht mehr ernähren kann.
Ach, ich kann nicht mehr darüber nachdenken, was ich den anderen damit antun werde, ich kann nicht mehr..

Am nächsten Morgen stand in dicken Lettern auf der Titelseite der Tageszeitung:,, Mutter des Toten Thomas N. heute Morgen tot aufgefunden- die Polizei vermutet Selbstmord"..