Freitag, 13. März 2009

Reportage

Zwei vermummte Unbekannte sind einem Dritten dicht auf den Fersen. In einer dunklen Nische bringen sie ihr Opfer in ihre Gewalt. Das einzige was nun auf diese drei Personen hindeutet, ist das Geräusch dumpfer Schlage und schmerzvolles Stöhnen. Sie sind ein unbeteiligter Passant und der einziger Zeuge dieser Gewalttat. Wie würden sie reagieren?

"Solche Situation sind immer kritisch", meint Sicherheitsexperte und Selbstverteidigungstrainer Udo S. aus Berlin. "Die meisten Menschen sind in Situationen wie dieser oft nicht fähig spontan zu handeln und fühlen sich überfordert und hilflos. Sie versuchen die Situation mit wegschauen und ignorieren auszublenden. Darum ist ein Selbstverteidiungstraining unabdinglich, welches hilft in Gefahrenzonen intuitiver zu handlen und vor allem die richtigen Entscheidungen zu treffen."

Doch was verlangt die Zivilcourage, wenn man Zeuge eines Raubes, körperlicher Gewalt oder gar Schlimmerem wird? Rudolf H. aus Dresden erlebte so ein Schreckenszenario am eigenen Leib. "Ich war auf dem Nachhauseweg von der Arbeit. Ich war müde und unachtsam. Alls diese Männer mich zu Boden stießen und anfingen mir ins Gesicht zu schlagen, war ich so perplex, das ich im ersten Moment gar nicht wirklich reagieren konnte. Als ich meine Notlage erkannte fing ich an zu schreien und meine Angreifer abzuwehren. Doch Hilfe konnte ich keine erwarten. Vorhänge wurden zugezogen, Passanten eilten mit starrem Blick zur Seite davon. Als sie schließlich von mir abließen, konnte ich mir mit letzter Kraft noch einen Rettungswagen rufen."

"Die Geschichte des Herrn H. ist leider kein Einzelfall. Die Zivilcourage als Moral- und Ehrvorstellung hat in der heutigen Zeit einiges an Bedeutung verloren", so Udo S. "Doch auch nur ein Anruf bei der Polizei oder eine Zeugenaussage seitens der Passanten helfen enorm bei der Täterermittlung und stellen auch eine Art Prävention für die Zukunft dar."

Mittwoch, 4. März 2009

Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer

Das Gedicht „Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer“ wurde 1962 vom Deutschen Hans Magnus Enzensberger verfasst. Es richtet sich gegen die breite Masse des Volkes, die im Gedicht als falsche, faule „Lämmer“ bezeichnet wird.
Im Folgenden werde ich dieses Gedicht genauer analysieren und besonders auf die auffälligen rhetorischen Mittel eingehen.
Dieses moderne Gedicht ist aus fünf Strophen zu jeweils acht, zehn, acht, sechs und sieben Verszeilen aufgebaut. Es weist kein festes Versmaß auf und folgt auch keinem Reimschema. Das „lyrische Ich“ wendet sich direkt an die breite Masse, in welche der Leser unweigerlich miteinbezogen wird. Rhetorisch sehr auffällig sind vor allem die Verwendung der Metaphern und die teilweise sehr sarkastisch formulierten rhetorischen Fragen und der Aufbau. Darauf werde ich später genauer eingehen.

Die ersten beiden Strophen bilden zusammen den ersten inhaltlichen Abschnitt, die jeweils aus acht und zehn Verszeilen bestehen. Durch die vielen Enjabements am Zeilenende fällt die akustische und optische Betonung auf die nächste Verszeile sehr stark aus. Auch die Anapher „was“ der ersten Strophe lässt die Fragen, die an die Leser gerichtet sind, viel vorwurfsvoller und ausdruckstärker erscheinen. Die verwendeten Metaphern sind vielseitig deutbar und haben einen sarkastischen Beigeschmack. Durch diese skurrilen Bilder („soll der geier vergißmeinnicht fressen?“) und die direkten Fragen sichert sich Enzensberger die Aufmerksamkeit der Leser. Die rhetorischen Fragen stellt die Gleichgültigkeit der Masse noch mehr in den Vordergrund.

Die in der zweiten Strophe verwendeten rhetorischen Mittel ähneln denen der ersten sehr. Um die Fragen prägnanter zu gestalten werden viele Enjabements, meist nach dem Fragewort „wer“, eingesetzt. Diese rhetorischen Fragen haben einen ebenfalls sehr sarkastischen Charakter und das vorwurfsvolle „denn“ in der ersten Verszeile („wer näht denn dem general/den blutstreif an seine hosen?“) lässt eine Schuld der angesprochenen Menschen an z.B. Kriegen mitklingen. Durch die Anspielungen auf „politruks und päpste“ sowie auch durch die Begriffe „general“ und „blutstreif“ lenkt das Gedicht auch deutlich auf das Thema Politik hin. Enzensberger verwendet in Verbindung mit der Anapher auch einen Klimax und formuliert seine eigentliche Aussage, nämlich die Gier und Bestechlichkeit der Menschen in einer zynisch sarkastische Frage (wer/nimmt das trinkgeld, den silberling, den schweigepfennnig?“).

Im zweiten inhaltlichen Abschnitt, der die letzten drei Strophen beinhaltet, werden die rhetorischen Fragen durch kühl formulierte, konkrete Eigenschaften des Volkes ersetzt. Die breite Masse wird als wahrheitscheu, lern- und denkfaul bezeichnet. In der ersten Strophe des zweiten Abschnitts werden auch zum ersten Mal die Wölfe mit dem Satz „das denken/überantwortend den wölfen“ erwähnt. In diesen ersten vier Verszeilen klingt auch viel Verachtung und Abneigung des Dichters gegen diese Menschengruppe durch. Um die Faulheit der Menschen bezüglich selbstständigem Denken zu verdeutlichen, verwendet Enzensberger die Metapher „der nasenring euer teuerster schmuck“. Gleichzeitig wird diese Verszeile im Schema einer Inversion dargestellt um die Konnotation des Begriffs „Nasenring“ hervorzuheben. Richtig gedeutet soll das heißen, dass die Beschuldigten sich wie Vieh herumkommandieren lassen und dass sie das nicht als besonders störend empfinden. Mit dem verachtenden Klimax „keine täuschung zu dumm, kein trost/zu billig, jede erpressung/ist für euch noch zu milde“ wird auch die Einfältigkeit und Gleichgültigkeit des Volkes ausgedrückt und angeklagt.

In der zweiten Strophe des zweiten Abschnitts wird der Leser wieder direkt angesprochen, da die Vorwürfe direkt an die breite Masse („ihr“) gerichtet sind. Zum ersten und einzigen Mal wird das Volk als „lämmer“ bezeichnet, und auch die „wölfe“ werden beschrieben. Die Lämmer werden mit den Krähen gleichgesetzt und mit der Zeile „ihr blendet einer den andern“ als falsch und hinterlistig enttarnt. Die Wölfe werden als brüderlich und gemeinschaftsfähig („sie gehen in rudeln“) beschrieben. Diese starke Gegensätzlichkeit dieser zweier Gruppen wird durch Enjabements, die akustisch und optisch eine Zäsur zur Folge haben, zusätzlich unterstrichen.

Die in der vorherigen Strophe positiv beschriebenen Wölfe werden in der dritten und letzten Strophe nochmals in Erinnerung gerufen. Die Inversion „gelobt sei´n die räuber“ lässt diese Verszeile wie einen Imperativ klingen, als Aufforderung diese zu huldigen. Die Lämmer jedoch werden wieder nur mit dem allgemeinen Ausdruck „ihr“ bezeichnet, und bezichtigt, absichtlich provokant und unüberlegt zu handeln. Die Metapher „werft euch aufs faule bett/ des gehorsams" wird stark durch das Verb „werft“ beeinflusst, da es auf eine vorsätzliche Handlung hinweist. Das „faule Bett des Gehorsams“ kann einerseits als angenehmer oder bequemer Platz in der Gesellschaft interpretiert werden. Einerseits kann „faul“ auch als schlecht oder nicht vertrauenswürdig ausgelegt werden. Diese Metapher verstärkt den Vorwurf „einladend zur Vergewaltigung“, der aussagt, dass dieser Gehorsam und diese Unterdrückung des Volkes von ihnen selbst gewollt ist. Sie sind zu bequem und denkfaul um sich gegen negative Veränderungen aufzulehnen. Eine Zäsur, die durch ein Enjabement vor der endgültig letzten Verszeile eingeleitet wird, verleiht der kühlen, abfälligen Feststellung „ihr/ändert die welt nicht mehr“ einen verachtenden Charakter.

Dieses Gedicht hat mich im Sinne der tiefgründigen Metaphern und des beißenden Sarkasmus fasziniert. Aber auch klar formulierte Aussagen über das denkfaule Volk stehen im Kontrast zu den Bildern, und insbesondere dadurch bleibt das Gedicht glaubwürdig und regt zum Nachdenken an.
Auch heute noch ist die Aussage des Gedichtes legitim, schließlich wurde es erst vor knapp fünfzig Jahren verfasst. Außerdem bin ich der Meinung, dass das Gedicht in hundert oder mehr Jahren nicht weniger an Gültigkeit verlieren wird, denn denkfaule Mitläufer und unterwürfige Ja-Sager gab es schon vor tausenden von Jahren und wird es auch weiterhin geben.

Abschließend sollte noch einmal die Kernaussage dieses lyrischen Textes verdeutlicht werden. Enzensberger hatte genug von der Falschheit und geistigen Bequemlichkeit der gemeinen Bevölkerung. Obwohl diese als Lämmer bezeichnet werden, stellen sie für die Allgemeinheit eine größere Bedrohung dar als die Wölfe. Sie lassen sich ohne großes Nachdenken leiten und sind in Wahrheit falsch und korrupt. Es gibt zu viele meinungslose Mitläufer und zu wenig eigenständige Persönlichkeiten, die genug Mut und Konsequenz besitzen, um ihre eigene Meinung glaubhaft zu begründen und standhaft zu vertreten.